B wie Berlin, Entlastung von der Mühsal des Lebens, Teile und Gegenteile sowie ein Besuch von Didoni–4 E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

Mögen Sie eigentlich Berlin? Nun ja, da hat so jeder seine eigenen Auffassungen. Wie aber zum Beispiel Theodor Fontane sein Berlin und seine Mark Brandenburg erlebt hat – das ist das Thema des ersten der vier Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 02.03.18 – Freitag, 09.03.01.18) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind.

Ganz nebenbei erklärt Gisela Heller in ihrem Buch „Unterwegs mit Fontane in Berlin und der Mark Brandenburg“ auch, wie ein praktikabler Bildungsgemischtwarenladen zum Werden eines Journalisten und Schriftstellers beitragen kann. Vielleicht eine Anregung für alle diejenigen unter den Newsletter-Abonnenten, die für sich selber oder aber für ihre Kinder und Enkel große Pläne haben, das Schreiben betreffend. Von Fontane stammt die Bemerkung, dass man es im Leben schaffen sollte, zu heiterer Gelassenheit zu finden. Mit diesem Thema speziell im akademischen Bereich setzt sich Claus Göbel in seiner Schrift „Humor an der Uni“ auseinander. Humor und eine große Portion heiterer Gelassenheit, die braucht auch ein gewisser Nickel, die Hauptperson in dem schelmischen Roman „Unterm Hut in der Sonne oder Das neue Buch Nickel“ von Rainer Lindow. Das Vergnügen liegt auf Seiten von Leser und Leserin, das Lesevergnügen. Bleibt schließlich noch der Roman „Der Zug der Blinden“ von Peter Löw, der in der End-DDR- und Wendezeit spielt und unter anderem von einem Angriff auf die Kunst handelt – im tatsächlichen wie im übertragenen Sinne.

Außerdem ist in dieser Woche ein niegelnagelneues E-Book von Harry Schmidt für eine Woche zum Superpreis von nur 99 Cents zu haben. Mehr dazu am Ende dieser Ausgabe. Aber zunächst zurück an den Anfang dieses Newsletters und damit zurück oder besser gesagt und geschrieben vorwärts zu Theodor Fontane …

Erstmals 1983 veröffentlichte Gisela Heller in der Nicolaischen Verlagsbuchhandlung Beuermann Berlin ihr Buch „Unterwegs mit Fontane in Berlin und der Mark Brandenburg“: 100 Jahre nach Fontane scheint es aktueller denn je, auf seinen Spuren durch Berlin und die Mark Brandenburg zu wandern, die von ihm beschriebenen Wege nachzuvollziehen. Was für viele Jahrzehnte als „verlorene Provinz“ galt, wird dabei als historische Landschaft (wieder) entdeckt. Dieses Buch nun führt den Leser zu den (alphabetisch geordneten) Stätten, die für Fontanes Leben und Werk von Bedeutung waren. Berlin nimmt dabei – nicht nur als geographischer Mittelpunkt – den größten Raum ein. Immer an bestimmte Örtlichkeiten geknüpft, ist hier Fontanes Lebensbogen ablesbar, seine Irrungen, Wirrungen, sein Ärger mit Chefredakteuren, Ministern, Hausbesitzern und der leidigen „Commodite“; seine Mühen bis hin zum „Eigentlichen“, dem Romanwerk, das er erst mit 60 Jahren begann. Er hat noch „das vernobelte Berlin“ kennengelernt und die Anfänge des Bombasmus; die Verwüstung erlebte Fontane nicht mehr. Von seinen 18 (!) Wohnstätten blieb keine erhalten, dennoch fand die Autorin eine Vielzahl von Plätzen, an denen man sich sagen kann: Ja, hier könnte es gewesen sein …, hier könnte die Witwe Pittelkow, hier Effi Briest gewohnt haben … oder auf diesen jüdischen Friedhof konnte er von seinem Fenster aus sehen … Ein Spaziergang durch Berlin und Umgebung mit diesem Buch wird unversehens zur Entdeckungsreise. Also beginnen wir mit B wie Berlin …:

„Es ist mir im Laufe der Jahre besonders seit meinem Aufenthalte in London Bedürfnis geworden an einem großen Mittelpunkte zu leben, in einem Zentrum wo entscheidende Dinge geschehn, … ein solches Schwungrad in nächster Nähe sausen zu hören, auf die Gefahr hin, dass es gelegentlich zu dem bekannten Mühlrad wird“ (an Paul Heyse, 28. 6. 1860). Es sollte ihm reichlich zuteilwerden: Schwungrad und Mühlrad. Als er im Herbst 1833, also noch nicht vierzehnjährig, mit seinem Habseligkeitsbündel nach Berlin kam, das er bisher nur von kurzzeitigen Besuchen an der Seite seiner Eltern her kannte, ahnte er nicht, dass diese Stadt sein Schicksal werden sollte.

Zunächst sehnte er sich nach Swinemünde zurück, wo er vom siebten bis zum zwölften Lebensjahr in „freier Wildbahn“ aufgewachsen war. In einer befreundeten Honoratiorenfamilie hatte er am Unterricht durch einen Hauslehrer teilgenommen, den Rest besorgte Vater Fontane selbst nach einer eigenen, spielerischen Methode, die er kühn „die sokratische“ nannte. „Da war ich unschuldigen Herzens und geweckten Geistes gewesen, voll Anlauf und Aufschwung, ein richtiger Junge, guter Leute Kind. Alles war Poesie. Die Prosa kam bald nach …“ Die Prosa – das waren die anderthalb Jahre auf dem Neuruppiner Gymnasium unter der Fuchtel des Schulmonarchen Thormeyer.

Dann beschloss der Vater, den Jungen auf die 1824 in Berlin gegründete Klödensche Gewerbeschule zu geben. Karl Friedrich Klöden, bekannt als Geograf und Historiker, wollte in seiner Lehranstalt vor allem „Realien“, die praktischen Fächer vermitteln. Da Theodor Apotheker werden sollte, hielten die Eltern dies für die beste Voraussetzung. So bezog der Knabe sein erstes Berliner Domizil: die Schülerpension Badtke in der Wallstraße 73.

„Das Resultat dieses unterbrochenen Schulganges war, dass ich, anstatt eine Sache wirklich zu lernen … von links her die Gymnasialglocken, von rechts her die der Realschule habe läuten hören, also mit minimen Bruchteilen einerseits von Latein und Griechisch, andrerseits von Optik, Statik, Hydraulik, von Anthropologie – wir mussten die Knochen und Knöchelchen auswendig lernen -, von Metrik, Poetik und Kristallografie meinen Lebensweg antreten musste- („Von Zwanzig bis Dreißig“, Kapitel „Mein Onkel August“). Immerhin ist diese gemischte, durchaus praktikable Bildung später dem Journalisten und auch dem Romancier Fontane zugutegekommen.

Das Pensionat erwies sich bald als zu lieblos und vor allem zu teuer. Deshalb zog Theodor zu seinem Onkel August, der Burgstraße 18, gegenüber dem Stadtschloss, ein Malutensiliengeschäft betrieb und selber recht ordentlich malte und musizierte. Tante Pinchen hatte, wie es hieß, ihm zuliebe eine große Bühnenkarriere aufgegeben, aber den theatralischen Lebensstil beibehalten. „Da war alles auf Schein, Putz und Bummelei gestellt; medisieren und witzeln, einen Windbeutel oder einen Baiser essen, heute bei Josty und morgen bei Stehely, nichts tun und nachmittags nach Charlottenburg ins Türkische Zelt fahren – das war so Programm. Wo das Geld dazu herkam, erworben oder nicht erworben, war gleichgültig, wenn es nur da war.

Dem Knaben gefiel diese legere Art, er „glaubte an die beste der Welten“, nur manchmal mahnte ihn das Gewissen zu „solider Pflichterfüllung, mein bestes Erbstück von der Mutter her“ (ebenda).“

Kurz vor Ende des vergangenen Jahres brachte die EDITION digital als Eigenproduktion „Humor an der Uni“ von Claus Göbel heraus – und zwar sowohl als gedrucktes Buch wie auch als E-Book: Ist Humor die edelste Form der menschlichen Selbstäußerung? Ist Humor vor allem Lustgewinn? Oder ist Humor gar die äußerste Form der Freiheit des Geistes, wie oft zu lesen ist? Wie immer diese Fragen beantwortet werden: Humor ist die beste Medizin für die menschliche Seele, macht die Menschen glücklicher, klüger und gesünder, ist aktive Lebenshilfe, beflügelt die berufliche Karriere, macht beliebt und ist auch ein Indiz für Intelligenz. Wer lacht, hat also mehr vom Leben. Und der deutsche Schriftsteller Carl-Ludwig Schleich schrieb sogar: „Ein Mensch ist so stark, wie er lustig sein kann!“ Während seiner langjährigen Tätigkeit als Hochschullehrer in Dresden hat der Autor immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Lachen die wissenschaftliche Kreativität befruchtet und einen erheblichen Bildungs- und Erziehungswert besitzt. Deshalb sollte auch in einer guten Lehrveranstaltung wenigstens einmal herzlich und befreiend gelacht werden. In den letzten Jahren hat sich der Humor mit all seinen Erscheinungsformen fast zu einer eigenen Wissenschaft entwickelt, in der sogar gelehrt und geforscht wird. Also: Wahrer Humor ist immer souverän! Das alles waren Gründe, weshalb Prof. Dr. Claus Göbel vor einigen Jahren begann, akademischen Humor aller Art zu sammeln und damit für die Nachwelt zu erhalten. Aus eigenem Erleben, aus studentischen Zeitungen und Festschriften sowie aus Beiträgen von Bekannten und Fachkollegen sammelte er Anekdoten, Glossen, Episoden, Sprüche, Versprecher, gewollte und ungewollte Zweideutigkeiten und einige ausgewählte Professorenwitze, welche er unter dem Begriff Humoritäten zusammengefasst hat. Claus Göbel hatte nach seinem Studium in Dresden und einer zweijährigen Tätigkeit als Bauleiter auf der Insel Rügen im Jahre 1964 eine wissenschaftliche Laufbahn begonnen. Er arbeitete fast 40 Jahre seines Lebens an Dresdner Hochschulen und veröffentlichte als Hochschulmann in dieser Zeit mehrere Fachbücher. Jetzt, im Ruhestand, widmete er sich vor allem autobiografischen Themen, woraus unter anderem auch dieses Buch entstand. Und sein Buch über den akademischen Humor hat einen heiteren, gleichwohl fast akademischen Beginn:

„1 Was ist und was bewirkt Humor?
Was eine Universität ist und tut, weiß fast jeder, und ein nicht geringer Teil der Leser hat dort irgendwann studiert oder gearbeitet. Aber was ist eigentlich Humor? Ist Humor vielleicht die edelste Form der menschlichen Selbstäußerung? Ist Humor nach FREUD vor allem Lustgewinn? Oder ist Humor gar die äußerste Form der Freiheit des Geistes?, wie oft zu lesen ist. Oder ist nach USTINOV Humor einfach nur eine komische Art, ernst zu sein?

Wie immer diese Fragen beantwortet werden: Humor erzeugt Lachen über andere und über sich selbst und stellt damit eine wirksame „Entlastung“ von der Mühsal des Lebens dar. Humorvolle Menschen sind intelligenter, kreativer und attraktiver als Miesepeter, denn wie heißt es so schön: Nur wer sich selbst zum Besten halten kann, gehört auch zu den Besten! Schon ARISTOTELES hatte erkannt, dass das Lachen und der Mensch zusammengehören und der Mensch „das einzige Tier ist“, welches das Lachen entwickelt hat.

Eine einheitliche Theorie des Humors ist bisher nicht bekannt. Deshalb findet man in der Literatur auch eine Vielzahl von Definitionen zum Humor. Am häufigsten ist folgende Definition anzutreffen: „Humor ist die Begabung eines Menschen, den Unzulänglichkeiten der Welt und der Menschen sowie den alltäglichen Schwierigkeiten und Missgeschicken mit heiterer Gelassenheit zu begegnen!“ – Diese Definition ist letztendlich nichts anderes als die Langform des bekannten deutschen Sprichworts „Humor ist, wenn man trotzdem lacht!“

Insofern stoßen alle Menschen, denen es gelingt, dem Leben trotz aller Mühseligkeiten und Schwierigkeiten mit „heiterer Gelassenheit“ zu begegnen, eine Tür zum persönlichen Glück auf. Denn wie schrieb schon HUFELAND: „Heiterkeit und Zufriedenheit sind die Grundlagen allen Glücks, aller Gesundheit und eines langen Lebens!“

Die Formen akademischen Humors sind äußerst vielfältig. Herkömmliche Professorenwitze, die von den Hochschullehrern in ihren Vorlesungen immer wieder erzählt werden und den Studenten längst bekannt sind, stehen nicht im Mittelpunkt dieser Sammlung. Eine „höhere“ Form des akademischen Humors entsteht vielmehr aus ungewollter Situationskomik, aus Versprechern, Fehlern und markanten Sprüchen der Lehrkräfte sowie aus den Freuden und Leiden der Studenten.

In unserer unruhigen Zeit, in der die Welt immer mehr aus den Fugen zu geraten scheint, ist Humor besonders wichtig. Er kann zwar das Weltgeschehen nicht beeinflussen, aber durch befreiendes Lachen die Menschen glücklicher, klüger und gesünder machen. Humor ist nach wie vor die beste Medizin für unsere Seele. Wahrer Humor ist ferner ein Indiz für Intelligenz, stärkt das Immunsystem, ist aktive Lebenshilfe, beflügelt die berufliche Karriere und macht beliebt. Mehr noch: Neue Forschungsergebnisse belegen sogar, dass Humor ein wesentliches Kriterium unserer Frauen bei der Auswahl ihrer männlichen Sexualpartner ist …“

Erstmals bereits 1979 war im Eulenspiegel Verlag Berlin der Roman „Unterm Hut in der Sonne oder Das neue Buch Nickel“ von Rainer Lindow erschienen: Auf der Erde ist der Mensch geworden, der Leuchtewitzer genauso wie der Sparkaner. Hat mit sich gekämpft das Leben lang, dass er besser werde, oder mit anderen. Er ist immer noch erschüttert, wenn die Erde wackelt und mit ihren Ozeanen schwappt, lacht und weint, wenn er glücklich ist, furzt auch mal, wenn er muss, oder verkneift es sich. Wahr ist: Zilla und Nickel werden Runzeln kriegen wie andere auch durch Kämpfe und bei Hochzeiten, vom Kindergeschrei und auf Lehranstalten, vom Lieben und durch Enthaltsamkeit, vom Fressen und vom Hungern, durch Krankheit, Gewalttaten, Lügen, Schlangestehen und Arbeitshast, wie die alte Mutter Erde selbst, auf der die beiden stehen, in wollnen Socken, unterm Hut in der Sonne, im elften Jahr nach Nickels Flucht aus dem letzten großen Krieg, weil er nicht mehr kämpfen wollte. Der Roman erschien 1980 erst zehn Jahre nach seiner Vollendung, nachdem Rainer Lindow mit anderen Autoren und Lektoren infolge der Biermann-Affäre den Aufbau-Verlag verlassen musste, in dem der Roman ursprünglich erscheinen sollte. Der Eulenspiegel Verlag konnte das Buch mehr als 55 000 Mal verkaufen. Bis 1989 erlebte es drei Auflagen …

Das Buch von Rainer Lindow ist hübsch in 17 Abschnitte gegliedert, die schon am Anfang jeweils darauf einstimmen, was auf den geneigten Leser und die geneigte Leserin gleich zukommt. Beispiel gefällig? Bitteschön:

„Der erste Abschnitt
im Leben des Nickel ist seine Geburt, der erste Zahn, die Kindheit und die Jugend, besonders die Pubertät. Dinge, die es nicht lohnen, beschrieben zu werden, weil die Vorfahren mehr über ihn sagen können.

Dies ist der Anfang des Buches Nickel, das mit den Vorfahren beginnt, weil jeder abstammt und ein Stamm sich nicht leugnen lässt. Die Geschichte ist bekannt, Nickel nicht. Aus all den Kriegen, die deutsche Fürsten machten, um Reiche zu haben, ist von Nickels Vorfahren nur überliefert, dass sie nie reich wurden, weil sie ziemlich eigensinnig waren. Sie blieben arm, wenn Kaiser und Päpste miteinander zankten und aus politischen Gründen barfuß liefen, und wurden auch in Stadtluft nicht frei, wie Jeremias, der Knecht, der im Suff einen Sohn Alomar zeugte, in die Stadt Bremen zog und dort als Dieb gehängt wurde.

Und wenn die Nickels mal zu was gekommen waren, wie Konrad zu einem Pferd, ging auch das vor die Hunde, weil es verhungern musste, nachdem Konrad von seinem Herrn und Ritter am Wegrand erschlagen worden war, weil er die Abgaben lieber seinen Kindern ins Maul stopfte. So liebten sich die Nickels und pflanzten sich fort durch die Generationen; eine Maria ging heimlich ins Heu mit Martin, dem Priester, und empfing dort ihren Sohn Baldemund, was hiermit bekannt wird. Der schlug sich tapfer durch den Bauernkrieg und starb am Rad.

In rascher Folge zeugten und starben die Nickels bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein, wo ein Ewald in sackfinsterer Nacht auf der Flucht vor den Schweden unter ein Weib geriet und ihr beischlief bis zum Westfälischen Frieden, an der Ruhr starb und vier Söhne hinterließ, von denen keiner mehr sagen kann, wie sie unterm Joch schwitzten, um ihre Scholle zu brechen.

Durch den Spanischen Erbfolgekrieg geriet ein Juan in den Stamm, seine Mutter war eine katalonische Witwe. Juan war klar bei Verstand und schnell mit dem Messer, das er in jeden Wanst steckte, der Geld trug, und er starb jung an der Lues. Erst im sechsten Glied danach gelang es dem starken Bürger Clodwig, die heimtückische Krankheit aus der Familie zu schütteln. Das war, als sich das Kapital einen festen Platz erobert hatte und Bürger Clodwig bis auf seinen Sohn alles verlor.

Heinrich, der Kaufmann, zeugte nun Frieda, die schwanger wurde von einem Franz, der Sozialist war und seinen Sohn Fritz zur höheren Schule schickte, auf dass er Bischof werde. Doch der Student wurde Anarchist und baute Bomben, die lediglich Löcher in die Reihen der Freunde rissen, bis er Maria aus Leuchtewitz im Steinbruch traf. Sie legten sich zueinander, zeugten Nickels ältesten Bruder Johannes und übernahmen die Kirche von Sparka.

Fritz, der Pfarrer, zeugte noch einen zweiten Sohn Joachim, bevor er Nickel schuf, von dem im Weiteren die Rede ist. Als Maria, die Mutter, schwanger war mit ihrem dritten Kind, betete sie inbrünstig, dass es eine Juana werde. Sie wollte so gerne ein Mädchen haben, damit sich viele ihrer Geburt erfreuten. Aber sie gebar einen Sohn und gab ihn uns in der Hoffnung, dass nach den vergangenen Tiefen einmal über die Hochzeit eines Nickel geschrieben werde.

In der Sparkaner Kirchenchronik wird nach längerer Wachstumsruhe noch die Geburt eines Mädchens aus dem Hause Nickel geführt: Marie-Louise. Nickels Schwester war sanft und verständig und machte den Eltern wenig Kummer, sodass jeder sie liebte. Sie erfuhr niemals, dass ihr ältester Bruder im Norden Afrikas bei Alexandria fiel, der andere in einem Dorf vor Murmansk erfror und Nickel in Lubischitz die Lust zum Kämpfen verlor und sich in die unkriegerischen Abschnitte seines Lebens aufmachte. Marie-Louise starb von einer Bombe, die nach ihrem Gebet um Frieden vom Himmel fiel.

Jedes Teil hat sein Gegenteil, und wenn an einem Ende der Erde am Abend einer das Feuer löscht, wird am anderen eben eines entfacht, und ein Nickel muss sehen, wie er damit zurechtkommt. Sicherlich gäbe es noch einiges über die Vorfahren im Leben eines Nickel zu sagen, wenn nicht der zweite Abschnitt drängte, geschrieben zu werden.“ Und gelesen zu werden, möchte man hinzufügen – wie alle weiteren 15 auch …

Erstmals 2005 brachte der Lions Verlag Mittweida „Der Zug der Blinden“ von Peter Löw heraus: Schäfer, der alkoholkranke Baubrigadier, macht sich auf eine Grenzerfahrung hin auf Sinnsuche. In den Konflikten der DDR-Endzeit dennoch suchtrückfällig geworden, fällt sein zerstörerischer Angriff auf die Werkausstellung Maler Janssens, in der er sich als sozialistischer Arbeiter-Sieger dargestellt findet, mit den „Wir-sind-das-Volk“-Rufen der sich erhebenden Massen zusammen. Von den Vorgängen betroffen alle Romanfiguren, die in widersprüchlichem Beziehungsgeflecht noch ansässig sind im großstädtischen Rekonstruktions-Wohngebiet Brühl. Ein Neues steht nur bevor: der Aufbruch in eine andere Welt. – Eine Fata Morgana des Überflusses lockt den Zug der Blinden in Janssens gleichnamigen Tafelbild an. Werden die Leute vom Brühl im Neuen auch mit Herzen und Seelen ankommen? Zunächst aber bekommt Maler Janssen ebenso überraschenden wie gutaussehenden Besuch:

„1. Kapitel
Wütend warf Janssen den Pinsel hin, er konnte nicht mehr. Um sich aufzuwärmen, trat er zum Kanonenofen. Kein Bauhandlanger, dachte er, hätte mit ihm getauscht. Und noch pfeifen würde auch er auf die Kunst, blieb es beim Jetzigen. Hoffnung setzte er auf den „Zauberer“. Das Opus in Öl, mit dem er immer noch rang. Mit dem vielleicht er hätte längst fertig sein können, sagte er sich, bei anderer Werkstatt.

Es klopfte an die Tür. Draußen stand eine in Pelzjacke und Tschapka. Er wusste das Gesicht nicht einzuordnen; es war hübsch. Lächelnd kam sie ihm zu Hilfe: „Didoni“, nannte sie ihren Namen, „Didoni, Bezirkskunststelle.“

Er war im Bilde. Der Mitgliederversammlung des Künstlerverbandes hatte sie sich als die Neue vom Bezirk vorgestellt. – Er bat herein. Und fragte sich, was sie wohl wollte. Verbandsterrain sondieren – oder hatte Bernert, ihr Meister, sie auf den „Zauberer“ angesetzt: „Schau’s dir an, Janssens neues, ideologisch verqueres Machwerk!“? Ihr Blick wanderte über die Wasserflecken an der Decke, über salpeterblühenden Putz. -Ja, so sieht’s aus, kleine Beauftragte, dachte er, präg’s dir gut ein. Sein Antrag auf anderen Raum war Legende, lief seit einem Jahrzehnt. Lief, so sehr auch er hier verwurzelt war.

Verwurzelt in der Leihbücherei zum Goldborn. Wo sein Senior Bücher verliehen, er selbst sie geschwartet hatte. Sein Werden, es war mit dem Gemäuer verbunden; gleichwohl musste er raus. Raus aus Nässe und Kälte. Investitionen lohnten nicht: In ein, zwei Jahren kam komplexe Rekonstruktion. Würde er ohnedies, dann immer noch hier, hinausgesetzt werden. Lieber heute als morgen wäre er umgezogen. Ein Königreich für einen freien, beheizbaren Gewerberaum. Vergebens all sein Inserieren und Suchen. Wo nicht einstige Backstuben zu Wohnraum umgebaut werden sollten, drohte Einsturzgefahr. Janssen sieh, wo du bleibst – vielleicht bis Räumkommandos anklopfen.

Er rieb sich die klammen Hände. Über seine Wattejacke hin ging der Blick der Didoni. Ja, so schaut’s aus, kleine Beauftragte, dachte er. Er riss den Ofen auf, warf Briketts hinein – nützen, wusste er, würde es nichts. Ohnehin war ihm nicht nach langem Palaver. Sie standen vor dem Bild. Der Menschenzug war lang und gedrängt. Bewegte sich auf einen Hintergrund zu und in ihn hinein, der sich wirr zusammensetzte aus Merkmalen der Industrie- und Wohlstandsgesellschaft: aus Kraftwerksschloten und Destillierkolonen, aus Wolkenkratzern und Straßenkreuzern, aus Baukränen und Villenprunk und Bananen-Füllhörnern, aus Computern und pompös anmutenden Mammut-Maschinen. Eine visuelle Verheißung der Fülle. Eine des Blendwerks dabei, darin des Zuges Vordere, hineindrängend, zu vergehen schienen zu Schemen. Ein Blickfang die Steine, die Verwandlung durchmachten, zu Brotlaiben wurden. Vorn seitlich ihrer der Junge. Der Blondkopf, der sich gegen den An- und Hineindrang stemmte, ihn ins Stocken brachte. Sein Blick Durchschauen, Erkennen. Begreifen des Trugs, der ins Verderben, ins Nichts hineinzog. Im Halblicht der Zauberer, dem des Jungen wegen das luziferische Lächeln gefror. Ja, dachte Janssen, das war es. Erwachen von Mario. Das Ganze, ohne Mario wäre es zu statisch geblieben, auch kompositorisch.

„Nun, findet es Gnade?“, wollte er wissen. Die Didoni erwiderte nach Sekunden: Nur interessant, könne sie sagen. Wenn das alles ist, dachte er. Bisschen wohlfeil für dich, Frau Bezirkskunststelle. Interessant, das Kinoplakat. „Ich mein auch den Bezug“, sagte sie. „Zur Literatur. Dostojewski, nicht wahr?“

Hintersinnig stellte er fest: Es gäbe noch Kenner.
Von der Seite sah sie ihn an. „Kommen gleich nach den Sehern.“ Ihre Stimme warnte.

Du zeigst ja Krallen, dachte er. Du wirkst eher warmblütig. – Er behielt für sich, dass er hoffte, das Bild werde seine Wirkung auch dann nicht verfehlen, wurden die Zitate nicht entschlüsselt. Er fand es sein bestes: Malerei, die allein schon mit Gestalten, Farben und Formen beeindrucken musste. Den meisten verborgen bleiben würde sein Geisteskern, die Essenz. Verborgen bleiben wie des Werkes Entstehungsgrund. Der hinabreichte zu Rudolf, seinem verstorbenen Vater. „Der Mensch erlegen der eigenen, der technischen Schöpfung“, hörte er ihn. „Ihr erlegen aus Gier nach dinglichem Reichtum – im Sog hin zur Wüste, zum Orkus.“ – Dass solche Bildbotschaft ankommen werde, Janssen bezweifelte es. Zu wenige Marios dazu, dachte er, in der Menge. Eine Art Spiegel würde das Opus gleichwohl allemal sein. Mehr, meinte Jansen, war nicht seines Berufs.

„Übrigens, Ihr Chef ist anderer Meinung.“ Janssen lächelte. Bernert, er hatte das Bild als selbstherrlich charakterisiert. „Nicht nach meinem Geschmack“, hörte er ihn. „Die Gesellschaft sonst ausnahmslos korrumpiert – nur die Kunst scharfsichtig über den Dingen.“

Nicht immer ist sie’s, hatte Janssen bei sich entgegnet. Du, Bernert, jedenfalls siehst zu kurz. Siehst Konsumdenken gegeißelt, nicht mehr. – Argumentiert hatte er damit, dass Kunst nun mal verallgemeinere.

„Einseitig?!“, fragte daraufhin Bernert.
Janssen sah: Auch dieser sein „Zauberer“ würde den Erfolg ihm nicht bringen. Und hatte Tage später den Einfall. Den Einfall, der Mario hieß. Mario, hatte er gesehen, die Zugabe für die einäugig Blinden.“´

Zum Superpreis von nur 99 Cents ist diesmal außerdem ein ganz neues Buch von Harry Schmidt im Angebot: eine Familiengeschichte und Geschichte-Geschichte der besonderen und der besonders gelungenen Art: Ganz frisch aus der Druckerei gekommen ist soeben der Roman „Eulenort. Aus dem unglaublichen Leben des Rudi Kleineich oder Glückssuche in einer harten Zeit“ von Harry Schmidt – ebenfalls eine Eigenproduktion der EDITION digital und ebenfalls sowohl als gedruckte Ausgabe wie auch als E-Book erschienen: Rudi Kleineich hat die Blutsucht und einen unbändigen Lebenswillen. Als der Verwalter des Gutes vor der Roten Armee geflohen ist, holt er sich aus dem Schloss ein vielbändiges Lexikon (Ausgabe 1886) und erfährt zum ersten Mal Näheres über seine Krankheit. Er muss nicht so früh sterben wie sein Onkel, bei dem er sich das Imkern abgeguckt hat. Er kann sogar alt werden – auch im „Ort der Eulen“, einem Gutsarbeiterdorf ohne Zeitungen und ohne Strom. Sein Vater – der Sturmpanzerfahrer im ersten großen Krieg – hat einen Traum, den er hartnäckig verfolgt. Er will freier Bauer werden. Das kann Rudi nicht. Doch er versteckt die zwei Schwestern einer Flüchtlingsfamilie vor den Schrecken der Besatzung. Eine heißt Christel. Und scheint ihm von Herzen dankbar zu sein. Hoffnung unter Schmerzen, Glückssuche in einer harten Zeit. – Dem Bluter Rudi Kleineich fehlen Bildung und Informationen; er hat nur seinen kritischen Verstand. Zu Beginn seines Romans zitiert Autor Harry Schmidt einen handlungsrelevanten Artikel aus eben jenem bereits erwähnten Lexikon von 1886, das also fast sechs Jahrzehnte vor dem Beginn der Handlung erschienen war, dem Haupthelden aber dennoch Mut und Lebenswillen machen kann:

„April 45 – Zukunftsaussichten
Bluterkrankheit (Blutsucht): eigentümliche Krankheitsanlage, welche darin besteht, dass auf die geringste Veranlassung ungewöhnlich lange und hartnäckige Blutungen eintreten, so dass sonst ganz unerhebliche und oberflächliche Verletzungen einen Blutverlust herbeiführen, der bis zur Lebensgefahr andauert und fast allen Mitteln trotzt. Ein kleiner Stich, das Ausziehen eines Zahns, namentlich gerissene Wunden, bluten unaufhaltsam, und Verletzungen am Kopf, an den Lippen, an den Fingerspitzen scheinen besonders gefährlich zu sein … Das Blut kann auch im Innern der Gewebe auftreten, so dass eine Menge durch alle Organe des Körpers verstreute Blutflecke erscheinen. In der Regel sind solche Blutaustretungen Folge leichter äußerer Einwirkungen, und es sind Fälle bekannt, wo ein längerer Druck eines Teils, z.B. des Gesäßes beim Sitzen, blaue Flecke hinterließ. In der Regel ist die B. angeboren und vererbt sich von Geschlecht zu Geschlecht, so dass oft ganze Familien daran leiden. Es sollen jedoch vorzugsweise die männlichen Glieder der Familien dazu disponiert sein. Im höheren Lebensalter verliert sich allmählich die Neigung zu derselben. Im allgemeinen besteht die Befürchtung, dass die mit der B. Behafteten kein hohes Alter erreichen; die meisten Bluter sterben schon als Kinder an Verblutung …

Die Behandlung der Blutung richtet sich auf das Fernhalten aufregender Affekte, Vermeidung schwerer Getränke, Sorge für geregelte, leichte Diät; kühlende Mittel, wie Weinsteinsäure, Tamarinden und leicht abführende Salze, namentlich Glaubersalz und Bittersalz, wirken sehr wohltätig.
(Meyers Konversations-Lexikon, Leipzig 1886)

Jungimker Rudi – das einzige Kind des Leutevogts Emil Kleineich und seiner Frau Ida – nimmt ein Blatt vom Stapel vergilbter „Stürmer“-Zeitungen, faltet es, legt es als Lesezeichen zwischen die Seiten und schiebt den Band drei (von Blattkäfer bis Chimbote) behutsam zurück in die dritte Position des siebzehnbändigen Lexikons. Er streicht mit dem Zeigefinger andächtig über die Buchrücken, goldene Prägung, kostbar schimmernd im Dämmern des Bienenschuppens. Er wird sich ein langes Regal bauen müssen. Er kann sein Raubgut ja nicht jedes Mal wegräumen, wenn er an die Kästen will, auch wenn die meisten zurzeit leer stehen. Den Text, der von der Bluterkrankheit handelt, hat er bereits auf der Rückfahrt vom Schloss studiert. Dazu das Fahrrad mit hoch beladenem Anhänger aus dem Landweg geschoben, der neben den Schienen herläuft. Und die beiden Hunde vor den Büschen am Feldrand postiert. Versteckt hinter Weißdorn mit Blütenschimmer konnte er in Ruhe blättern und lesen. Es blieb jedoch bei dem einen Satz. Im höheren Lebensalter verliere sich die Neigung, schreiben sie. Nur, wann es anfangen soll, dieses höhere Alter, dazu äußern sie sich leider nicht. Mit vierzig Jahren vielleicht oder erst mit fünfzig? (Sein Vater ist achtundvierzig un noch gaut tauwech, wie man so sagt.) – Trotzdem, wenn gelehrte Leute im vergangenen Jahrhundert bereits versicherten, dass man nicht jung sterben muss, dass es eine Hoffnung gibt! Professoren der Medizin bestimmt und nicht solche Schmierfritzen wie die von dem Revolverblatt, das im Kasten hängt. Wo ja – seit Rudi lesen kann – so rumgegeifert, übertrieben und gelogen wird, dass es nicht auszuhalten ist: Die Juden sind unser Unglück, und Bolschewisten haben ein blutiges Messer im Maul. Dieser Fips mit seinen Teufelsfratzen – einfach primitiv! Und auch jetzt nehmen sie nichts zurück. Geben nicht zu, dass alles Lüge war. Dass sie EINGESCHISSEN haben mit ihren Parolen vom Durchhalten und vom Endsieg. Die Schweinebande stellt sich einfach tot.

Ihre letzte Nummer kam Mitte Februar und hängt immer noch im „Stürmer“-Kasten. Rudi schüttelt sich, dass ihm gleich mehrere Strähnen ins Gesicht rutschen. Er hat die schwarzen, widerborstigen Haare seines Vaters geerbt. Und mit seinen 25 Jahren schon eine tiefe Furche zwischen den Brauen. Eine Kerbe, die nicht mehr weggeht. Wer immer strebend sich bemüht! – Ja, er wird sich noch mehr BEMÜHEN. Zäh wie Affenleder und hart wie Kruppstahl – aus eigenem Interesse schon. Daran soll´s bei ihm nicht scheitern, auch wenn sie ihn wie Dreck behandelt haben während der Musterung. Onkel Wilhelm war ´s nicht; ist nicht mal vierzig geworden, der arme Mensch. Lag mit Nierenbluten im Bett und wurde zusehends schwächer und verwirrter im Kopf. Ist hier im Haus elend verröchelt, während in den Linden die Käuze schrieen. Unlängst erst. Damals im Januar, als die Wehrmacht in heldenhaften Abwehrkämpfen an der Weichsel stand. Der Onkel war schlechtweg zu weich, zu DÜSIG, nicht beharrlich genug. War genau solch ein Schaf wie sein Alter, der ewige Gehilfe des Schäfermeisters in Wohsien. Wenn der wenigstens einen Krankenwagen besorgt hätte! Stattdessen stand er – garantiert wie´s schlechte Gewissen in Person – vor dem Weißen Haus und traute sich nicht rein. Weil´s ja verboten war, den Herrn Inspektor ungefragt zu behelligen. Ließ sich irgendwann von der Mamsell zurückschicken zu seinen Muttertieren, die gerade am Lammen waren. Wer weiß, wann Inspektor Krüger sich doch noch die Zeit nahm und beim Menschendoktor in Sülze anrief. Jedenfalls war es zu spät. Oma Ur kam kopflos in den Schafstall gerannt. „Uns Willem! Uns Willem antwuurt nich mihr!“ (Unser Wilhelm antwortet nicht mehr!)

Rudi erfuhr es erst zwei Tage später. Er hatte zur gleichen Zeit in seiner Bodenkammer gelegen und geschrien vor Schmerzen. Neben sich einen Eimer mit Essigwasser und mehrere Lappen, über der Stuhllehne ein Handtuch. Schweißnass im Gesicht und am ganzen Oberkörper. Und das trotz der Frostluft, gegen die der eiserne Ofen nicht ankam mit seinem kleinen Feuerraum. Mutter Ida – von allen WEISSE genannt – stahl sich zu den Mahlzeiten die Treppe hoch und brachte ihm Tee und Leberwurststullen. „Ik kann em uk nich helpen“ (Ich kann ihm auch nicht helfen), rief sie jedes Mal nach unten in den kalten, nach Kuhstall dunstenden Flur. Obwohl dort keiner war, der sie hören konnte. Dass Rudi ebenfalls flachlag, war schon mehr als ein böser Zufall. Er brauchte all seine Kraft, sich zu wehren gegen den Feind, der sich im eigenen Oberschenkel eingegraben hatte. Der dort an den Nervensträngen zog, bis die Gedanken nur noch ein heißer Brei waren. Nachts vermischte sich der Schmerz mit dem Wechselruf der Eulen. Immer wieder ihr gedehntes, so unheilvoll klingendes „Huhuu“. Und als Antwort ein schartig scharfes „Kuwitt – komm mit!“. Beklemmend nahe, die Luft durchschneidend von einem Ende des Dorfes zum anderen. – Eine zusätzliche Quälerei und eine stundenlange Attacke gegen die Vernunft: Bestimmt das ganz normale Balz-Gehabe dieser Vögel! Aber derart früh, im Winter schon? Ende Januar, während der Russe an der Weichsel stand? Rudi musste an die vielen Gefallenen in ihren Schützengräben denken. Musste sich – sobald der Schmerz im Bein es zuließ – wieder und wieder sagen, dass der kleine Kauz den Tod nicht bringen, ihn allenfalls melden könne. Vielleicht hatte der dafür ja ein besonderes Organ, einen siebenten Sinn. Wusste man das so genau?“

Das eingangs des Textes über den „Eulenort“-Roman zitierte Meyers Konversations-Lexikon, Leipzig 1886 gibt es übrigens wirklich, und es befindet sich nach dem Wissen des Newsletter-Schreibers auch im Besitze des Autors. Und manchmal ist es tatsächlich nicht der schlechteste Zeitvertreib und Bildungsweg, sich mit derartiger Weltsicht von damals zu befassen und sie mit heutigen Vorstellungen zu vergleichen. Das schafft Vergnügen und befördert mitunter aber auch Demut – sowie manchmal auch Heiterkeit. Apropos Humor. Eine der schönsten Definitionen von Humor (an der Uni und in allen anderen Lebenslagen) stammt von dem Schriftsteller, Maler, Schauspieler und genialen „Kuttel Daddeldu“-Erfinder Joachim Ringelnatz, der übrigens just in dieser Woche 135 Jahre alt geworden wäre, und sie (die schöne Humor-Definition) lautet: „Humor ist der Knopf, der verhindert, daß uns der Kragen platzt.“ Gut gesagt, oder?

Viel Spaß beim Lesen, lassen Sie sich den Kragen nicht platzen und bis demnächst.

Über die EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books (vorwiegend von ehemaligen DDR-Autoren) Kinderbücher, Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern.
Insgesamt umfasst das Verlagsangebot derzeit fast 900 Titel (Stand Februar 2018)

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