„Eurozone 4.0: Kommt bald der digitale Euro?“ – der aktuelle Neuwirth Finance Zins-Kommentar

Die Digitalisierung schreitet weiter voran und macht auch nicht vor der Europäischen Zentralbank (EZB) halt. Diese prüft derzeit die Einführung eines digitalen Euros und begann kürzlich mit einer öffentlichen Konsultationsphase. Doch was genau ist ein digitaler Euro und was sind die Vor- und Nachteile? Erfahren Sie in der heutigen Ausgabe des Zinskommentars mehr über die Beschaffenheit des digitalen Euros und die damit verbundenen Implikationen für die gesamte europäische Wirtschaft.

Markt-Monitoring und Ausblick

Kurzfristiger Zins: Der 3-Monats-Euribor stieg bis Mitte März auf – 0,161% und fällt seit Anfang Mai auf aktuell – 0,512%. Die überdurchschnittlich starke Kapitalnachfrage von staatlicher und nichtstaatlicher Seite hat sich wieder gelegt. Bis Ende 2020 erwarten wir einen Seitwärtsverlauf um die – 0,50%. Dieser orientiert sich an der Einlagenfazilität der EZB.

Langfristiger Zins: Der 10jährige SWAP-Satz/3M steht derzeit bei – 0,26%. Mit Sicht auf die nächsten 6-12 Monate rechnen wir eher weiterhin mit negativen, 10-jährigen SWAP-Sätzen. 

Eurozone 4.0: Kommt bald der digitale Euro?

Um zu verstehen, was genau der digitale Euro ist, lohnt es sich abermals das Konstrukt unseres Finanzsystems vor Augen zu führen. Ein Beispiel: Die Geschäftsbank X leiht sich 100 Euro von der EZB (Zentralbankgeld) und darf nun das bis zu 40-fache an seine Kunden verleihen. Dieses sog. Buchgeld existiert nur auf den Konten der Kunden. Würden alle Kunden das Geld gleichzeitig abheben wollen (Buchgeld wird in Zentralbankgeld in Form von Bargeld umgewandelt), wäre das in der Regel nicht möglich. Ebenso sind die Einlagen von Unternehmen und Privatpersonen bei den Geschäftsbanken Forderungen gegenüber dem Geldinstitut und kein Zentralbankgeld. Neben der Geldschöpfung erfüllen die meisten Geschäftsbanken noch die Funktion als Transaktionsabwickler. Das geschieht in den meisten Fällen über die Kennzahlen IBAN und BIC. Doch was genau ändert sich mit der Einführung des digitalen Euros?

Normalerweise ist Bargeld die einzige Form von Zentralbankgeld, die Unternehmen und Privatpersonen zur Verfügung steht. Ein digitaler Euro würde das Bargeld um eine neue Form des Zentralbankgeldes erweitern. Unternehmen und Privatpersonen könnten nun direkt bei der EZB Konten eröffnen und führen, was sonst lediglich nationalen Notenbanken und Geschäftsbanken vorbehalten war. Die EZB betont, dass das digitale Zentralbankgeld nicht im Wettbewerb zu dem Bargeld stehen solle, sondern parallel existieren würde. Das digitale Zentralbankgeld ist kein neues Konzept und wird schon länger von Ökonomen unter dem Namen central bank digital currency (CBDC) diskutiert. China testet bereits das Konzept einer CBDC in der Bevölkerung und bleibt somit seinem Image als digitaler Vorreiter treu.

Im Allgemein liegt der Vorteil einer CBDC in der effizienteren und Kosten günstigeren Gestaltung von Transaktionen, insbesondere über Ländergrenzen hinweg. So könnten beispielsweise Transaktionen schneller abgewickelt werden, ohne zwangsläufig Geschäftsbanken oder andere Finanzinstitute involvieren zu müssen. Außerdem garantiert eine CBDC den Zugang zu einem sicheren Zahlungsmittel in einer sich schnell verändernden digitalen Welt. Darüber hinaus könnte die fortschreitende Abnahme der Bargeldnutzung dafür sorgen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen von fundamentalen Finanzdienstleistungen ausgeschlossen werden, weshalb die EZB geeignete Maßnahmen treffen muss, um diese Gruppen weiterhin am Finanzsystem teilhaben zu lassen. Ein digitaler Euro könnte hier Abhilfe schaffen. Insgesamt würde die Einführung einer CBDC sehr viel Raum für Innovationen schaffen und die Vormachtstellung einiger privater Zahlungsdienstleister aufbrechen.

Die Nachteile einer CBDC liegen vor allem darin, dass wesentliche Teile des Geschäftsmodells von Banken ausgehebelt werden könnten. Unternehmen und Bürger könnten sich dafür entscheiden Geld bei der Zentralbank, anstatt bei den Geschäftsbanken anzulegen. Dadurch verlieren die Banken eine sehr günstige Refinanzierungsquelle und andere Einnahmenquellen, wie z.B. Kontoführungsgebühren. Man könnte dem entgegenwirken, indem beispielsweise die Einlagen bei der EZB geringer verzinst werden als bei den Geschäftsbanken. Ein weiterer Nachteil liegt darin, dass eine CBDC nicht den gleichen Grad an Anonymität aufweist wie Bargeld und damit der Schutz der Privatsphäre gefährdet werden könnte.

Noch ist überhaupt nicht klar, ob und in welcher Form eine CBDC kommt. Bis Mitte 2021 soll eine Entscheidung diesbezüglich getroffen werden. Zahlreiche Ausprägungen sind möglich, die durch vier wesentliche Faktoren bestimmt werden: Zugang (offen oder begrenzt), Grad der Anonymität (volle bis keine Anonymität), Verfügbarkeit (derzeitige Öffnungszeiten oder 24/7) und Verzinsung (ja oder nein). Davon ist auch abhängig, wie die technische Ausgestaltung einer CBDC aussieht. Immer wieder wird über den möglichen Einsatz von Blockchain-Technologien gesprochen. Die Bank für Internationalen Zahlungsverkehr (BIZ) forscht in Zusammenarbeit mit sieben Notenbanken intensiv an der Sinnhaftigkeit einer CBDC und veröffentlichte erst kürzlich drei Grundprinzipien, die ein digitaler Euro erfüllen müsste:

  • Koexistenz mit Bargeld und anderen Geldarten in einem flexiblen und innovativen Zahlungssystem.
  • Jede Einführung sollte umfassendere geldpolitische Ziele unterstützen und die Währungs- und Finanzstabilität nicht beeinträchtigen. 
  • Funktionen sollten Innovation und Effizienz fördern.

Wer an diesem spannenden Thema interessiert ist, sollte sich bereits abgeschlossenen und zukünftigen Studien der BIZ und EZB widmen und die Entwicklungen in China verfolgen.

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