Mutismus am Gymnasium: Schweigen unter steigendem Leistungsdruck

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Dienstag, Sep. 23, 2025
Das Mutismus Beratungs Zentrum (MBZ) widmet sich seit 17 Jahren diesen und vielen weiteren Fragen rund um selektiven und totalen Mutismus. Aus weit über 4.000 Beratungsgesprächen mit hilfesuchenden Eltern und Angehörigen wissen die MBZ-Experten, welche Ängste und Bedenken den Start am Gymnasium begleiten.
„Mutistische Kinder können das Gymnasium grundsätzlich bewältigen. Ob das im Individualfall zutrifft und unter welchen Voraussetzungen, dazu tragen ganz unterschiedliche Faktoren bei, die sowohl beim Kind selbst als auch im privaten und schulischen Umfeld liegen“, so die MBZ-Gründerin Irmgard Emmerling.
Mutismus bei Gymnasiasten: Angststörung trifft auf neue Anforderungen
In der Grundschule befinden sich mutistische Kinder in der Regel noch in einem geschützten Umfeld, das besonders auf individuellen Förderbedarf eingehen kann. Auch am Gymnasium kann gezielte Unterstützung und individuelle Berücksichtigung angeboten werden, doch allein die Rolle der mündlichen Leistung sowie ein insgesamt deutlich höherer Leistungsanspruch sind das sprichwörtliche Öl im Feuer der Angststörung.
Mit einer Gewichtung von 30 bis 50 % spielt die mündliche Teilnahme zwar eine zentrale Rolle, kann aber bei Mutisten im Rahmen eines Nachteilsausgleichs durch Ersatzleistungen aufgefangen werden. Ebenso können Anforderungen in Fremdsprachenfächern, Präsentationen oder Prüfungssituationen gesondert gestaltet sein, um nicht das Schweigen mutistischer Schüler zu werten, sondern ihre tatsächlichen fachlichen Kompetenzen.
Zwischen Klassenraum, Pausenhof, sozialem Umfeld und Selbstbild
Gute Noten sind nicht alles, was Kinder und Jugendliche bewegt. Das Schweigen wirkt sich nicht allein auf den Unterricht aus – und das Klassenzimmer ist nicht der einzige Raum, in dem Kinder mit Mutismus ihren Platz einnehmen. Mit starken Parallelen zu einer sozialen Phobie kann selektiver Mutismus auch das Sozialleben an der weiterführenden Schule beeinträchtigen.
Der Start in die 5. Klasse ist mit vielen neuen, unbekannten Gesichtern und einem noch völlig unbeschriebenen Klassengefüge verbunden. Durch mehr wechselnde Lehrkräfte kann es Mutisten zusätzlich schwerfallen, sich angemessen zu integrieren. Dabei wird das eigentliche Unvermögen zu sprechen nicht selten fehlgedeutet und als Sturheit oder Desinteresse interpretiert.
Damit einhergehend leidet auch das Selbstbild betroffener Kinder: Der Widerspruch zwischen Können und erbrachter Leistung kann zu Frustration und Rückzug führen. Das Missverstanden-Werden wirkt sich nicht nur auf die Schüler-Lehrer-Beziehung aus, sondern auch auf die Rolle in der gesamten Klassen- und Schulgemeinschaft.
Schweigen ist keine Sackgasse: Wege für Kinder mit Mutismus
“Kinder mit selektivem Mutismus haben oft nicht gelernt, zu lernen“, betont Emmerling. „Für Eltern, Lehrkräfte und das gesamte Umfeld ist es wichtig zu verstehen, dass das Schweigen kein Trotz ist“. Dabei gelte es aber ebenso, das Verhalten differenziert zu betrachten – denn während selektiver Mutismus inzwischen eine ICD11-anerkannte, eigenständige Angststörung ist, können eine soziale Phobie oder andere Ängste zugrunde liegen.
Kinder mit selektivem Mutismus verfügen oft über normale oder sogar überdurchschnittliche kognitive Fähigkeiten, womit einer gymnasialen Schullaufbahn grundsätzlich nichts im Wege steht. Wichtig ist dann eine möglichst frühe Erkennung, das Schaffen angemessener Rahmenbedingungen sowie das Begleiten durch gezielte Maßnahmen.
Aktive Unterstützung statt passivem Laufenlassen
In der Kita und Grundschule laufen Kinder mit Mutismus oft noch mit – doch das funktioniert auf der weiterführenden Schule auf Dauer nicht. Das MBZ weiß aus mehreren hundert Beratungsgesprächen pro Jahr: „Eltern hoffen lange, dass sich das selektive Schweigen ihrer Kinder irgendwann schon von selbst regeln mag. Leider tragen Lehrkräfte, Kinderärzte und sogar Psychologen nicht selten ihren Teil zu dieser fehlgeleiteten Einstellung oder Erwartung bei.“
Doch ohne gezielte Behandlung „verwächst“ sich selektiver Mutismus nur selten. Das Fatale: Fehldiagnosen verhindern eine möglichst frühe Erkennung und Behandlung. Beim Wechsel aufs Gymnasium können mutistische Schüler bereits sehr festgefahren in ihrem Schweigen und ihren Ängsten sein. Neben dem eigenen Beratungsangebot rät das MBZ deshalb dazu, mehrere Meinungen einzuholen und sich bei Diagnose und Therapie an Spezialisten zu orientieren.
Mit einem Nachteilsausgleich, sowie in enger Kommunikation mit den Lehrkräften können Gymnasialschüler mit Mutismus die Unterstützung erhalten, die sie für ihre weitere schulische Laufbahn dringend benötigen. Über eine Frühdiagnose hinaus können Psychotherapie, schulische Unterstützungsmaßnahmen, ein angenehmes Arbeitsklima und der enge Austausch mit Lehrkräften wirksame Hebel darstellen.
Mutismus-Beratungs-Zentrum (MBZ)
Wittelsbacher Str. 2A
82319 Starnberg
Telefon: +49 (8151) 5564150
https://www.mutismus.net